Umweltschutz im Blick: Die Gefahren unsachgemäßer Medikamentenentsorgung

Feb. 29, 2024
ALEXANDER R. BAASNER
Samedi e health blog medikamentenentsorgung

Aus den Augen, aus dem Sinn? Diese Devise gilt leider nicht für die Entsorgung abgelaufener oder nicht mehr benötigter Medikamente. Denn wer alte Tabletten, Kapseln, Säfte, Salben und dergleichen einfach über den Hausmüll, den Abfluss oder die Toilette entsorgt, macht es sich selbst zwar leicht – belastet die Umwelt aber schwer. Welche Möglichkeiten für die fachgerechte und umweltschonende Entsorgung von Arzneimitteln gibt es? Und was können Ärzte und Praxispersonal ihren Patienten raten, wenn diese mit einer vollen Tüte abgelaufener Medikamente in der Praxis erscheinen?

 

Zu Gast im Interview ist E-Health-Experte Alexander Baasner. Er hat vor Kurzem mit einer Aktion bei samedi auf die komplexen Umweltauswirkungen unsachgemäßer Medikamentenentsorgung und die damit verbundenen Risiken aufmerksam gemacht. Wir sprechen mit ihm darüber, warum die vermeintlich naheliegenden Entsorgungsmethoden oft nicht die richtige Wahl sind und was getan werden muss, um sowohl ein Bewusstsein als auch Lösungsansätze für die Herausforderung der sachgemäßen Beseitigung zu schaffen.

 

Lieber Alex, auf welchem Wege sollten abgelaufene bzw. nicht mehr benötigte Arzneimittel entsorgt werden? Der Hausmüll ist vermutlich nicht die richtige Wahl, oder?

 

Tatsächlich ist die Entsorgung über den Hausmüll nicht das größte Problem – dieser Weg wird in vielen Bundesländern teilweise sogar als sicher empfohlen. Die Umweltbelastung ist um ein Vielfaches größer, wenn Medikamente über die Toilette entsorgt werden. Gerade Husten- oder Cortison-Säfte und generell alles, was flüssig ist, wird gerne einfach mal in die Toilette geschüttet. Viele denken, sie handeln richtig, da sie es gewohnt sind, Glasflaschen erst in den Ausguss zu leeren, bevor sie dann das leere Glas entsorgen. Doch das ist hier ein Trugschluss. Das Gleiche gilt für Tabletten: Es ist überraschend, wie viele Leute ihre abgelaufenen Tabletten, besonders wenn sie einzeln und nicht in einem Blister oder einer größeren Verpackung kommen, einfach in die Toilette werfen. Die meisten sind sich vermutlich gar nicht bewusst, welchen Schaden sie damit anrichten.

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Was kann es denn für Folgen haben, wenn Medikamente unsachgemäß über die Toilette entsorgt werden?

 

Wenn Arzneimittel über die Toilette oder den Abfluss heruntergespült werden, gelangen sie in das Klärsystem. Das Problem dabei ist, dass unsere Kläranlagen nicht darauf ausgelegt sind, hohe Mengen an Antibiotika zu 100 % aus dem Wasser zu filtern. Es gibt zwar auch Medikamentengruppen und Substanzen, die durch das System sehr gut gefiltert werden können, weil die Stoffe zum Beispiel durch zugeführte Bakterien zersetzt werden. Je höher jedoch die Belastung ist, desto mehr Medikamentenrückstände verbleiben nach dem Filtervorgang und desto mehr gelangt letztlich auch wieder zurück ins Trinkwasser. Wenn wir bereits einer Belastung durch Antibiotika im Trinkwasser ausgesetzt sind, kann das zur Entwicklung von Antibiotikaresistenzen führen. Medikamente können dann unter Umständen nicht mehr so effektiv wirken wie früher. Die Belastung des Grundwassers durch Medikamentenrückstände wird zusätzlich noch durch andere Faktoren wie den Verzehr von mit Antibiotika belastetem Fleisch verstärkt. 

Je höher die Belastung ist, desto mehr Medikamentenrückstände verbleiben nach dem Filtervorgang und desto mehr gelangt letztlich auch wieder zurück ins Trinkwasser.
Alexander R. Baasner

In Filmen sieht es man ja sehr oft, dass Medikamente über die Toilette entsorgt werden.

Ja, leider. Die Filmindustrie ist in dieser Hinsicht nicht unbedingt hilfreich. Im Fernsehen sieht man häufig, wie Leute ihre Arzneimittel (bzw. in dem Fall oft auch Drogen) in die Toilette werfen, wenn die Polizei vor der Tür steht. Und auch, wenn es sich nur einen Film handelt, wird uns damit unterschwellig suggeriert, dass dies ein probates Mittel sei, um sich seiner Medikamente zu entledigen. Durch Filme und Serien werden wir darauf konditioniert, dass dies eine mögliche Lösung ist – aber dem ist nicht so. Medikamente sollten ausschließlich fachgerecht entsorgt werden.  

 

Die Verunreinigung des Grundwassers ist also ein großes Problem. Gibt es noch weitere Auswirkungen und Risiken?

 

Die Grundwasserverschmutzung ist der eine Aspekt. Ein anderer betrifft das Thema Sicherheit. Denn wenn Medikamente einfach in den Müll geworfen werden, besteht die Gefahr, dass sie in die Hände von Kindern gelangen. Tabletten, Pillen und Kapseln sehen eben oft so aus wie bunte Bonbons oder Süßigkeiten. Viele mögen vielleicht sagen „Mein Kind wühlt doch nicht im Mülleimer herum!”. Doch das ist eben leider nicht die einzig denkbare Möglichkeit, wie Arzneimittel ungewollt in die Hände von Kindern gelangen können.  
 

Wenn Mülltonnen zum Beispiel draußen offenstehen, können Vögel wie Krähen darin herumpicken, den Müll links und rechts herausfischen und überall verteilen. So können die entsorgten Tabletten auf die Straße fallen, wo Kinder sie auflesen könnten. Auch Tiere könnten die Medikamente finden und fressen. Dies führt wiederum dazu, dass die Rückstände über den natürlichen Kreislauf durch Verwesung oder durch den Kot der Tiere in unsere Umwelt gelangen und die Belastung erhöhen. Letztendlich gelangen auch diese Rückstände dann über Umwege ins Grundwasser und tragen durch eine kontinuierliche Erhöhung der Belastung langfristig zu Umweltauswirkungen bei. 

Das sicherste Verfahren ist, die Arzneimittel in dafür vorgesehenen Boxen abzugeben. Nur wissen das leider immer noch die Wenigsten.
Alexander R. Baasner

Du hast vor Kurzem eine Aktion gestartet und die Mitarbeitenden von samedi dazu aufgerufen, ihre abgelaufenen Medikamente mitzubringen und sie im Büro fachgemäß in einer dafür vorgesehenen Box zu entsorgen. Wie kamst du auf die Idee zu dieser Aktion?

 

In meinem Bekannten- und Freundeskreis werde ich oft gefragt, wo man denn eigentlich seine Medikamente entsorgen kann. Und ich weiß von vielen Fällen, in denen sie –  durch den Mangel an Alternativen und Informationen – einfach über die Toilette entsorgt wurden. Und das ist, wie gesagt, äußerst bedenklich. Die Motivation für die Aktion bei samedi kam für mich persönlich aus der Kombination von eigenen Erfahrungen sowie einer ausführlichen Recherche über die Probleme, die damit einhergehen – insbesondere eben im Hinblick auf Antibiotikaresistenzen. Das sicherste Verfahren ist, die Arzneimittel in dafür vorgesehenen Boxen abzugeben. Nur wissen das leider immer noch die Wenigsten. Mit der Aktion wollte ich den Kolleginnen und Kollegen bei samedi eine Möglichkeit geben, ihre abgelaufenen Medikamente mit gutem Gewissen loswerden zu können.

 

Wo finde ich eine solche Entsorgungsbox, wenn nicht gerade der Arbeitgeber eine zur Verfügung stellt?

 

Genau dort liegt der Knackpunkt. Wenn wir uns die USA anschauen, gibt es dort in jeder Apotheke eine dafür vorgesehene Box, in die man Medikamente einfach einwerfen kann. Sind die Boxen voll, werden sie von einer Vereinigung eingesammelt und entsorgt. So entstehen praktisch keine Kosten für den Einzelnen. Hier in Deutschland ist das anders. Zwar kann man solche Boxen kostenlos bestellen, aber wenn man sie zurückschicken will, muss man die Kosten dafür selbst tragen. Das lohnt sich für eine Einzelperson also kaum. Arztpraxen verfügen zwar für den Eigengebrauch über solche Boxen, zögern aber, zusätzlich auch alte und abgelaufene Arzneimittel von Patienten zurückzunehmen. Denn die Bezahlung für die Entsorgung erfolgt pro Kilo – je mehr also entsorgt wird, desto teurer wird es. Für die Praxen gibt es also keinen wirklichen Anreiz, ihren Patienten diesen Service  proaktiv anzubieten.

 

Wenn die eigene Arztpraxis keine solche Box aufstellt, ist man selbst gefragt, sich zu informieren. Eine Anlaufstelle sind einerseits die Recyclinghöfe der Stadtreinigungen (in Berlin z. B. die BSR). Für jedes Bundesland gibt es zudem Webseiten, auf denen darüber aufgeklärt wird, wie und wo man welche Medikamente am besten entsorgen kann. 

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An welche Stellen können Praxen ihre Patienten noch verweisen, wenn diese mit Medikamenten zur Entsorgung erscheinen?

 

Idealerweise haben Praxen oder auch Apotheken Informationsmaterial wie Broschüren, Flyer oder QR-Codes parat, die sie den Patienten mitgeben können. Ideal wäre es, wenn es eine zentrale Initiative gäbe, die finanzielle Unterstützung leistet, um sicherzustellen, dass Praxen und Apotheken Medikamente zurücknehmen können, ohne dafür die Kosten tragen zu müssen. Schließlich sind Praxen, Kliniken und Apotheken für die meisten Patienten die erste Anlaufstelle für gesundheitliche Fragen. Daher sollten sie nicht nur Informationen bereitstellen, sondern auch die Möglichkeit anbieten, Arzneimittel zu entsorgen. Der Anreiz dafür müsste vom Gesetzgeber geschaffen werden. Bis dahin wäre es schon ein hilfreicher erster Schritt, wenn in Praxen und Apotheken flächendeckend entsprechendes Informationsmaterial ausliegen würde, das aufzeigt, wo die Medikamente entsorgt werden können. Ein Herausgeber solcher Inhalte könnte zum Beispiel die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung sein. 

Praxen, Kliniken und Apotheken sind für die meisten Patienten die erste Anlaufstelle für gesundheitliche Fragen. Daher sollten sie auch die Möglichkeit anbieten, Arzneimittel zu entsorgen. Der Anreiz dafür müsste vom Gesetzgeber geschaffen werden.
Alexander R. Baasner

Gibt es weitere Möglichkeiten, um die Entsorgung von Medikamenten zukünftig zu verbessern?

 

Es gibt viele Möglichkeiten, um die gesundheitliche Aufklärung voranzubringen. Leider können wir uns nicht immer darauf verlassen, dass der Bund ausreichend Aufklärung betreibt. Die Gelder für gesundheitliche Aufklärung wurden zuletzt sogar gekürzt, daher müssen wir jetzt umso mehr an anderen Stellen aktiv werden. Man könnte überlegen, die Arzneimittelhersteller in die Pflicht zu nehmen, dafür Sorge zu tragen, Hinweise zur fachgemäßen Entsorgung ihrer Medikamente an die Verbraucher weiterzuleiten. Eine andere Möglichkeit wäre außerdem eine über einen längeren Zeitraum geschaltete Radio- oder TV-Spots geschaltete Informationskampagne. So könnte sichergestellt werden, dass sich ein Bewusstsein für die korrekte Entsorgung festigt und zur Normalität wird. Um damit so früh wie möglich anzufangen, sollten bereits Kinder für das Thema sensibilisiert werden – beispielsweise über Programme und Initiativen in den Schulen.
 

Dass die Einführung neuer Systeme im Alltag funktionieren kann, hat die Vergangenheit gezeigt. Beispiele dafür sind Pfandautomaten oder die grünen Boxen in Drogeriemärkten zur Abgabe von Batterien - daran haben wir uns ja schließlich auch gewöhnt. Auf jeden Fall sollte die Entsorgung kostenfrei ermöglicht werden. Auch innerhalb des betrieblichen Gesundheitsmanagements können Initiativen umgesetzt werden – wie es auch bei der von mir initiierten Aktion bei samedi der Fall war.  

 

Vielen Dank für diese spannenden Einblicke und deinen Einsatz für dieses wichtige Thema!


Das Interview wurde am 06.02.2024 geführt.

Autor samedi e health blog alexander baasner
ALEXANDER R. BAASNER
Alexander R. Baasner ist Psychologe, Hochschuldozent und passionierter Notfallmediziner. Für sein Innovationsprojekt „DIHVA“ (Digitale hausärztliche Versorgungsassistenten) wurde er, zusammen mit Stefan Spieren, mit dem German Medical Award 2023 für „Digitale Medizin“ ausgezeichnet.